CDU Landesverband Braunschweig

"Braucht deutsche Politik (noch) Konservative?

eine Rede des Oberbürgermeisters Dr. Gert Hoffmann

Dr. Gert Hoffmann, Oberbürgermeister in Braunschweig sprach auf einer Veranstaltung des CDU-Landesverbandes Braunschweig  im Waldhaus Ölper.....
Ausgangspunkt der von den Zuhörerinnen und Zuhörern im vollbesetzten Großen Saal des Waldhauses Oelper gespannt verfolgten Ausführungen war die an sich selbst gestellte Frage Hoffmanns: „Bin ich eigentlich ein Konservativer?“ Ihm habe sich schon beim Nachdenken über diese Frage und dem Zögern bei der Antwort die ganze Komplexität und Problematik dieses Themas verdeutlicht. Denn, wie definiere man überhaupt „konservativ“? Eine solche Definition vorzunehmen, sei viel schwieriger als bei den Begriffen „sozialistisch“ oder „liberal“, so Hoffmann.
 
Braunschweigs Oberbürgermeister fuhr damit fort, die diffizile Definition des Konservativismus an seiner Person und deren Grundsätzen zu reflektieren. Gemeinhin zählen zum Konservativen Positionen, die aus Glaubensüberzeugung motiviert sind und von daher sich in Wertediskussionen positionieren (z.B. der Streit über den § 218 StGB oder Fragen der PID, der Sterbehilfe oder die Gentechnologie). Vor diesem Hintergrund fragte Hoffmann: „Ob man daher eher liberal ist, wenn man hier nicht auf der Seite der sogenannten Konservativen steht, so wie ich selbst?“ Gleiches gelte in der Wirtschaftspolitik. Sei er wegen seiner konsequenten Privatisierungspolitik in Braunschweig sogar „marktliberal“? Auch seine sehr intensive Hinwendung zu unseren muslimischen Mitbürgerinnen und Mitbürgern passe eigentlich nicht in die gängigen klassischen konservativen Klischees. Konservativ sollen auch eigentlich diejenigen sein, die eher für die Rückkehr zum alten System der Nationalstaaten und gegen die europäische Integration sind. Er selber, erklärte Hoffmann, glaube aber schon lange nicht mehr an eine Zukunft der klassischen Nationalstaaten in Europa und sei überzeugter „Europäer“.
 
Daran anschließend fragte er zugespitzt: „Also bin ich gar kein Konservativer?“ Die Volatilität des Begriffs und seine Schubladenzuordnungen hinderten ihn jedenfalls bisher daran, sich selbst so zu kategorisieren. Anders der Blick vieler politischer Beobachter auf ihn und erst recht der seiner Gegner. Für die sei er schon lange – mindestens! – „konservativ“ und das aber im Sinne eines Abqualifizierens, wenn nicht Diffamierens.
 
Allerdings: Schon seine Aversion gegen Konformismus verstärke auch hier seine Neigung gegen den Strom zu schwimmen. Gegen den Strom zu schwimmen und standfest zu sein, das sei aber sicher eine konservative Tugend. Gegen den jeweiligen Zeitgeist anzustehen eine weitere. Und das tue er. Denn was im Zeitgeist heute als richtig erscheint, könne sich morgen in das Gegenteil verkehrt haben, fuhr Hoffmann fort. Daraus folge für ihn eine praktische Vorsicht gepaart mit Skepsis. Und das sei konservativ.
Hoffmann machte dazu eine gegenläufige Tendenz aus, welche Mode zu sein scheine. Fast alle Parteien steuerten in die Mitte und würden sich im Nachahmen neuer oft noch gar nicht abschätzbarer Trends überbieten. Er frage sich daher: „Was ist nun die konservative Position in dieser Zeit?“
 
Was ist konservativ?
Konservativismus sei keine fest umrissene, genau identifizierte und längst abgeschlossene soziale und geistesgeschichtliche Erscheinung, erläuterte Hoffmann. Konservativismus tauge weder als soziale Bewegung oder Richtung noch für programmatische Gemeinsamkeiten von Parteien oder gar eine geschlossene Ideologie. Konservativismus habe vielmehr einmal als Gegenbegriff gegen Revolutionen und für das Bewahrenwollen gestanden.
 
Hoffmann fuhr mit erläuternden historischen Einordnungen zum Konservativismus fort und führte u.a. aus, dass es keinen „Übervater“ einer konservativen Theorie gebe, wie etwa Karl Marx für die Sozialisten oder Adam Smith für die Liberalen. Auch sei „konservative“ Politik von Land zu Land verschieden. In Deutschland beispielsweise tue man sich – anders als in England, mit seiner heute noch existierenden konservativen Partei – mit dem Begriff Konservativismus zu Recht ganz schwer. Das liege laut Hoffmann an unserer schwierigen Geschichte und ihren dunkelsten Kapiteln.
Die deutschen Konservativen hätten sich wie alle Konservativen in Europa Ende des 18. Jahrhunderts aus der Abwehr gegen die französische und die amerikanische Revolution aufgestellt und entwickelt und seien zunächst im Wesentlichen die Verteidiger der Monarchie gewesen. Wegen des Glaubenskampfs hätten die Konservativen schon zu Zeiten Bismarcks keine Einheit dargestellt. Zudem sei es Bismarck seitens der traditionellen Konservativen in Preußen ausgesprochen übelgenommen worden, daß er Preußen in das Deutsche Reich aufgehen ließ. Pro Nationalstaat waren laut Hoffmann eigentlich die Linken. Schon damals sei es in Deutschland viel komplizierter gewesen als in den traditionellen Nationalstaaten England und Frankreich mit deren religiöser Homogenität.
Als noch komplizierter habe es sich mit dem Konservativismus in Deutschland, seiner festen Begrifflichkeit und einer auch nur ansatzweise versuchten Verortung im Parteiensystem nach dem verlorenen Ersten Weltkrieg verhalten. Es habe da die schlichtweg eher reaktionären Strömungen gegeben, die in jedem Falle zurück zur wilhelminischen Monarchie gewollt hätten. Im Großen und Ganzen hätten dafür die Deutschnationale Volkspartei und der Stahlhelm gestanden, die letztlich Hitler mit an die Macht gebracht hätten.
 
Geistesgeschichtlich interessanter und für die Zeit prägender gewesen seien laut Hoffmann die Vertreter der sogenannten „Konservativen Revolution“. Berühmte Namen wie C. Schmitt, E. Jünger, A. Nikisch, A. Gehlen, G. Benn, O. Spengler könne man hier nennen. Die intellektuellen Vertreter der „Konservativen Revolution“ in der Weimarer Zeit hätten vor Augen gehabt, daß eine Rückkehr zu dem Status quo ante 1914 nie wieder möglich sein würde. Und sie seien der Auffassung gewesen, daß man der revolutionär-kommunistischen Bewegung eine ebenso revolutionäre Bewegung mit gleicher Entschlossenheit entgegensetzen müsse. Es sei jedenfalls eine Anti-Parteien- und Anti-Parlamentarismus-Bewegung gewesen, so Hoffmann. Aus dieser Einstellung sei die Vorliebe dieser Konservativen für einen starken, direkt gewählten Präsidenten entstanden, der das Land gegebenenfalls mit Notverordnungen regierte – über die Parteien hinweg und ohne Mehrheit im Parlament.
Hoffmann beschrieb weiter: Viele von den „konservativen Revolutionären“ oder „Jungkonservativen“ hätten auch gemeint, der nun aufkommende Nationalsozialismus könne die „Konservative Revolution“ vollenden oder mindestens dahin auf den Weg bringen. Und so sollen sie zum Teil geistige Wegbereiter des 30. Januar 1933 geworden sein. Und gerade das habe die deutschen Konservativen für lange, lange Zeit in den Augen vieler diskreditiert. Wobei viele jener „konservativen Revolutionäre“ sich schon in den ersten Monaten des Jahres 1933 abgewandt und zu den ersten Todesopfern des sogenannten Röhm-Putsches oder später zu den Opfern des 20. Juli 1944 gehört hätten. Mit dem 20. Juli sei der preußisch-deutsche Konservativismus letztlich zugrunde gegangen.
Auch deshalb gebe es im Gegensatz zu den anderen europäischen Ländern überhaupt keine Kontinuität im deutschen Konservativismus, wie es ohnehin auch keine Kontinuität deutscher Politik angesichts der zwölf schrecklichen Jahre gebe, fuhr Hoffmann fort. Gleichwohl habe es im Nachkriegsdeutschland noch konservative Politiker und den Einfluß konservativer Positionen gegeben. Sie schlugen sich laut Hoffmann nieder in kleineren Parteien, die teils in den Rechtsextremismus abglitten, teils – wie in Niedersachsen die Deutsche Partei – von der CDU aufgesaugt worden seien. Die CDU habe zwar bei ihrer Gründung auch Konservative in ihren Reihen gehabt. Als stärker erwiesen habe sich jedoch der christlich-soziale Flügel (Kaiser, Arnold, Katzer) und der wirtschaftsliberale mit Ludwig Erhard.
 
Auf der Basis dieses politisch-historischen Diskurses wies Hoffmann darauf hin, dass es aus seiner Sicht allerdings schon bei Erhard objektiv falsch sei, diesen als „reinen“ Liberalen zu etikettieren. Erhard habe für unser Land das bis heute gültige und tragende System der Sozialen Marktwirtschaft geschaffen. Und genau dieses System – das formal noch immer fast alle deutschen Parteien mehrheitlich bejahten – würde politisch völlig falsch verortet und an diesem Beispiel könne man auch gut die Begriffsverwirrung in der Folge der Finanzkrise aufzeigen.
Das Prinzip der Sozialen Marktwirtschaft würde nämlich gerne in Gegensatz gebracht zu den sogenannten Neo-Liberalen, die angeblich schuld seien an der großen Finanzkrise. Hierzu positionierte sich Hoffmann deutlich: „Ein schrecklicher Unfug und ein extremes Zeichen dafür, wie gering die substantiierte Kenntnis von Vertretern der Medien, der Politik, ja selbst der Wissenschaft über die geistesgeschichtlichen Wurzeln der Wirtschafts- und Sozialpolitik sind. Denn gerade die Väter und Schöpfer der Sozialen Marktwirtschaft waren wie Ludwig Erhard selbst – neoliberal! Neo-Liberalismus war eine Abkehr von jenem „radikalen“ Marktliberalismus, der auch gerne mit dem Kampfbegriff „Manchesterkapitalismus“ etikettiert wurde und wird. Im Gegensatz zu jenem wollte der Neo-Liberalismus zur Sicherung eines fairen Wettbewerbes und eines sozialen Ausgleiches von negativen Folgen des Wettbewerbsliberalismusses einen staatlichen Ordnungsrahmen, ggfs. auch mit streng staatlichen Eingriffen – eben die Soziale Marktwirtschaft.“ Als die geistigen Väter dieses Neo-Liberalismusses führte er auf:
W. Röpke – der laut Hoffmann ein klassischer Konservativer gewesen sei – W. Eucken und F. Hayek, aber auch L. Erhard selbst und A. Müller-Armack. Letztere hätten aus dem Gedankengut des Neo-Liberalismus die Soziale Marktwirtschaft für Deutschland geschaffen, die demnach „soziale wie konservative wie liberale Züge trägt“.
 
Hoffmann wies des Weiteren darauf hin, dass es gerade Erhard und Müller-Armack gewesen seien, die ohne wenn und aber die Notwendigkeit des staatlichen Ordnungsrahmens für die Wirtschaft und die große Bedeutung eines starken Staates für einen freien, fairen Wettbewerb und eine soziale Ordnung betont hätten. Klar strich Hoffmann hervor: „Deshalb der Sozialstaat, deshalb das Kartellrecht und deshalb eine staatliche Wirtschaftsordnung. Und das sind ganz klassisch konservative Positionen, denn das ist immer und quer durch alle Brüche und Schattierungen für Konservative typisch, daß sie an die Notwendigkeit eines starken Staates als Garanten für Sicherheit und Ordnung aber auch an Wettbewerb und sozialen Frieden glauben. Gerade auch in diesen Positionen bin ich ein überzeugter Konservativer, vielleicht ein „Liberalkonservativer“.“ Freilich würde die Soziale Marktwirtschaft als eine eher konservative Programmatik kaum eingeordnet oder eingeschätzt. Auch deshalb schien es in der deutschen Nachkriegspolitik immer gewissermaßen eine konservative „Leerstelle“ zu geben, fuhr Hoffmann fort.
 
Konservative Politik als Denkanschauung und Prinzip
Aber auch heute noch gebe es laut Hoffmann in Deutschland die Konservativen und konservatives Denken. Nicht als geschlossenes Programm und geschlossene Organisation mit einigen Führern, sondern als zeitloses Lebensprinzip und Geisteshaltung. Dafür stünden bestimmte Werte und Haltungen wie:
-     die Skepsis
-     Tradition und Geschichte
-     die Bedeutung der Erfahrung
-     die Ideologie- sowie die Utopiefeindlichkeit (gegen Nazismus und Kommunismus)
-     die Ausgewogenheit von Alter und Jugend in der Politik (Hinweis auf K. Lorenz)
-     und vor allem die – für Hoffmann sehr wichtige – Bedeutung von Ordnung und Stabilität in einem Gemeinwesen.
 
Diese Begriffe und Wertvorstellungen könne man allerdings quer durch die Jahrhunderte und auch quer durch die europäische Politik bei allen Konservativen festmachen. Es gebe keine Konservativen und keine konservative Politik, die nicht mindestens auf diesen Positionen aufbauen. Sie können sich mit anderen Begriffen (liberal, sozial) und mit verschiedenen Positionen kombinieren, aber dies seien doch irgendwie die festen Parameter des Konservativismus. Basierend auf
Manfred Hättich stellte Hoffmann zusammenfassend fest: Es handele sich also beim Konservativismus um eine spezifische Grundhaltung, eine Einstellung und ein bestimmtes Verhältnis zur Umwelt und zur Geschichte – also kein geschlossenes Weltbild und schon gar kein programmiertes Zukunftsbild, das der Gegenwart gegenübergestellt wird. Der Konservative sehe die Gegenwart nämlich nicht in erster Linie als Vorstufe zur Zukunft, sondern als das Ergebnis der Vergangenheit, als das durch die Geschichte Gewordene. Der Konservative habe eine große Abneigung gegen ungeschichtliche Spekulationen über die Zukunft. Er habe eine Abneigung gegen uniformierende Planung des Gesellschaftslebens und er respektiere die Pluralität und Mannigfaltigkeit aller Lebenserscheinungen gegenüber aller Gleichmacherei (M. Hättich, Individuum und Gesellschaft im Konservativismus, 1971, S. 8/9).
Konservative Positionen und konkrete Politikfelder
Diese Parameter führen laut Hoffmann dazu, dass sich auf manchen Politikfeldern aus einem konservativen Weltbild klare Konsequenzen ergeben würden, bei anderen eher wieder nicht. Als Beispiele benannte er u.a.:
- Der Konservative sei eigentlich klar Umwelt-bejahend und für den Schutz der natürlichen Lebensgrundlagen. Deshalb sei der spätere Gründer der GRÜNEN, Herr Gruhl letztlich in der CDU und im Konservativismus richtig untergebracht gewesen. Es gehöre zu den historischen Grundfehlern – Helmut Kohl habe das später bekannt – daß die CDU in den 70iger Jahren genau diese Wurzeln abgeschnitten hat. Dementsprechend sei der Konservative auch gegen jeden umweltzerstörenden Wachstumsfetischismus. Hoffmann zitierte an dieser Stelle aus dem „Manifest´72“ von Erhard und Müller-Armack: „Man hüte sich sehr wohl vor dem Fehler, das Bruttosozialprodukt als Maßstab der sogenannten kollektiven Wohlfahrt anzusehen“. Die Steigerung der Wachstumsrate des Bruttosozialproduktes könne daher kein sinnvolles Ziel einer sozial programmierten Marktwirtschaftspolitik sein. Hoffmann meinte weiter, dass wer den Vortrag von Meinhard Miegel – wie er sagte „auch ein Konservativer“ – auf dem Neujahrsempfang der Stadt gehört habe, müsse an dieser Stelle aufmerken. Denn vor vierzig Jahren seien diese Positionen vertreten worden. An das Auditorium gerichtet fragte Hoffmann: „Und wie wenig ist davon praktisch in den letzten Jahren in der konkreten Politik, auch in der Union, zu spüren gewesen?!“
 
- Dies hinge vor allem zusammen mit dem schwierigen und zum Teil widersprüchlichen Verhältnis der Union und der Konservativen zur Technik und zum technischen Fortschritt. An sich sei der Konservative extrem skeptisch gegenüber jedem naiven Fortschrittsoptimismus. „Für Konservative heißt es sorgfältig abzuwägen zwischen blinder, irrationaler Technikangst und dabei vor allen Dingen in Deutschland ausgeprägter Hysterie – und jenem blinden Fortschrittsoptimismus und blinden Vertrauen gegenüber Technik, was Konservativen fremd sein muß“, meinte Hoffmann. Auch gelte: „Wer sich nicht Sorgen um die Verformung der menschlichen Gesellschaft und des Menschen z. B. durch die Internetrevolution macht, kann kein Konservativer sein.“
 
- Einfacher sei die Positionierung der Konservativen zur Sicherheit und Ordnung. Sicherheit nach innen durch einen starken Staat und nach außen durch einen verteidigungsfähigen Staat in einem starken Bündnis seien konservative Grundpositionen. Und der Konservative würde immer dafür sorgen, daß es zwischen jugendlichem Überschwang und altersbedingtem Starrsinn eine goldene Mitte gibt. Für Hoffmann ist klar: „Deshalb wird ein Konservativer auch nicht euphorisch jede Piratenmode mitmachen, sondern gerade gegensteuern, wenn insbesondere auch oft Ältere aus dem Drang, jung und fortschrittlich zu sein, jedem Trend nachlaufen.“
 
- In Sachen Finanzen sind für ihn konservative Positionen wiederum sehr klar und eindeutig nur hier zu verorten: „Stabilität der Währung um jeden Preis ist das Motto und nicht Wachstum um jeden Preis.“
 
- Hoffmann räumte aber auch ein, dass das Verhältnis der Konservativen zu Europa komplizierter ist. Anders als viele Konservative glaubt er gerade angesichts der Eurokrise nicht, daß es richtiger wäre, zur festen Struktur der Nationalstaaten zurückzukehren. Realistische Konservative zeichneten sich dadurch aus, daß sie abgeschlossene oder unabänderliche Veränderungen letztlich akzeptierten. Dazu gehöre auch völlig klar die Erkenntnis, daß sich die Internetentwicklung genauso wenig zurückdrehen läßt wie die Globalisierung. Und die Globalisierung fordere von Europa eine europäische Staaten- und Wirtschaftsordnung. Basierend auf H. H. Klein führte Hoffmann des Weiteren aus: Daraus folge allerdings auch, daß der Übertragung von Zuständigkeiten auf die EU Grenzen gesetzt seien und der (nationale) Staat der „politische Primärraum“ bleiben müsse. „Das Maß der politischen Entscheidungsmacht der EU dürfe darum ein staatsanaloges Niveau nicht erreichen“ (H. H. Klein, Metamorphose der Demokratie, in: FAZ, v. 29. 08. 2011). Hoffmann forderte: „Eher sollten wir an die Losung von Charles de Gaulles „Europa der Vaterländer“ denken und auf dieser Basis Europa stärken und vor allem wirtschaftlich solide gestalten.“
 
Konservative Positionen in der CDU und werden sie gebraucht?
Unumwunden machte Hoffmann an diesem Punkt deutlich: „Ein Verorten konservativer Positionen in der CDU ist schwierig.“ Er fuhr fort: Die CDU sei natürlich nie eine rein konservative Partei gewesen. Aber aktuell sei bei Konservativen – und „wie Sie sehen können zähle ich mich letztlich dazu“, sagte Hoffmann – Unbehagen an der Union und ihrer Führung aufgekommen. Er glaube übrigens gar nicht, daß Angela Merkel bei vielen hier als konservativ skizzierten Positionen widersprechen würde. Was die Sache mit dem Kurs von Angela Merkel so schwierig mache, sei es, oft einen klaren Kurs und den Weg in die Zukunft daraus zu erkennen. Das sei kein Angriff auf Pragmatismus. Konservative sind laut Hoffmann aus ihrer Ideologie-Feindlichkeit immer auch Pragmatiker. So wie er selbst auch. „Aber eben doch von einer festen Grundlage ausgehend, kalkulierbar, zuverlässig und berechenbar. Und an solchen Merkmalen hat es natürlich in jüngster Zeit in unserer Politik gefehlt.“ Letztere These erläuterte Hoffmann anhand von Beispielen wie der Atomwende, der Abschaffung der Wehrpflicht sowie der wechselnden Haltung zu den GRÜNEN.
 
Das Grundgefühl auch bei ihm in den letzten zwölf Monaten sei gewesen, daß hier vor allem Verläßlichkeit verlorengegangen ist. Und eine Partei, die nicht als verläßlich und solide erscheint, sei natürlich für Konservative ein großes Problem. In diesem Zusammenhang lag Hoffmann ein weiteres Zitat von H. H. Klein – einem seiner juristischen Lehrer – besonders am Herzen: „In Zeiten des Umbruchs bedarf es in besonderem Maße der politischen Führung. Sie ist in der Demokratie zuvörderst die Sache der politischen Parteien und deren leitenden Personals. Ihnen obliegt es, politische Ziele zu formulieren und diese den Bürgern zu vermitteln. Machen sich die Parteien zu Vollstreckern der Demoskopie, verspielen sie Ansehen, Glaubwürdigkeit und Führungsfähigkeit. Gleiches geschieht, wenn Parteien taktischen Winkelzügen den Vorzug geben vor gemeinwohlorientierter Politik oder sich nicht die Mühe machen, ihre Politik zu erklären. Diesen Anforderungen zeigen sich die Parteien derzeit nicht gewachsen. Vor allem die Regierungsparteien kaschieren ihre, angesichts der Erstmaligkeit des Phänomens an sich begreifliche Ratlosigkeit in der Wirtschafts- und Währungskrise mit von Woche zu Woche wechselnden,
jeweils als „alternativlos“ ausgegebenen Rezepturen. … Weittragende politische Wendemanöver mit unabsehbaren Folgen werden zum Zweck des Machterhalts und unter halsbrecherischem Umgang mit geltendem Recht inszeniert. … Aber gerade darum ist wichtig, daß Parteien rechts- und prinzipientreue Verläßlichkeit, Redlichkeit im Umgang mit den Bürgern, Glaubwürdigkeit, Gemeinwohlverpflichtung und Kommunikationsbereitschaft, aber auch Entschiedenheit nach einmal gefaßten Beschlüssen praktizieren. Derzeit erleben die Menschen von alledem das Gegenteil“ (H. H. Klein, ebenda).
 
Abschließend machte Hoffmann noch einmal deutlich, dass er natürlich glaube, daß deutsche Politik, ja jede Politik, genau jene konservativen Elemente und Positionen brauche, die er skizziert habe. Ohne solche konservativen Positionen in der deutschen Politik könne es zu schweren Erschütterungen, Unsicherheiten und vor allem auch zur Wiederkehr von richtig gefährlichen rechtsextremistischen Parteien kommen. Die Parole von Strauß: „Rechts neben der Union darf niemand aufkommen“, habe daher schon ihre Berechtigung und die Stabilität der Bundesrepublik habe eine ihrer Grundlagen darin gehabt.
 
Konservative Positionen und persönliche Haltungen wie er sie geschildert habe, gebe es natürlich in allen Parteien, so Hoffmann. Aber mehrheitlich übereinstimmende konservative Positionen zu vielen Politikfeldern finde man doch nur noch – wenn auch schwächer werdend – in der Union und nur dort seien sie seines Erachtens mehrheitsfähig. Deshalb sehe er für Konservative nach wie vor keinen anderen Aufenthaltsort in der Parteienlandschaft als den in der Union.
Und die CDU selbst brauche allemal Konservative. Schneide sie sich diesen Teil ihrer politischen Wurzeln und ihrer Mitglieder ab, so würde sie nie mehr auf mehrheitsfähige 40 % und über kurz oder lang auch nicht mehr 30% kommen. Und deshalb hält er es für wichtig, daß diese Dinge, die er an diesem Abend ausführte, in der Union wieder stärker akzentuiert und berücksichtigt werden: Nicht verschämt und hinter vorgehaltener Hand, sondern offensiv.
 
Die von Hoffmann am Ende seines Vortrages geäußerte Auffassung „Ja, Deutschland braucht Konservative in Zeiten gravierender weltpolitischer und wirtschaftlicher Umwälzungen im Zeitalter der Internetrevolution und gar nicht vorhersehbarer technischer Veränderungen mehr denn je“,wurde mit breitem und lang anhaltenden Applaus aufgenommen.
 
(Weitere Grundlagen:            Lenk, Deutscher Konservatismus, 1989
Zehetmair (Hrsg.), Zukunft braucht Konservative, 2009)